Nimm und lies !
Conf. VIII, 12, 29
Die Szene spielt im Garten des Hauses von Augustinus in Mailand.
„Ich aber warf mich, ohne zu wissen wie, unter den Feigenbaum auf den Boden und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wie in Strömen brachen sie aus meinen Augen …… Und voller Jammer schrie ich hinaus: „Wie lange noch? Wie lange noch? Morgen und immer wieder morgen? Warum nicht jetzt? Warum kann diese Stunde nicht meiner Schande ein Ende setzen? So sprach und weinte ich in der größten Bitternis meines Herzens.
Und siehe, da hörte ich aus dem benachbarten Haus die Stimme eines Knaben oder eines Mädchens in singendem Ton immer wiederholen:
„Nimm und lies, nimm und lies!“
Sogleich veränderte sich mein Gesichtsausdruck, und ganz angestrengt begann ich nachzudenken, ob etwa die Kinder bei irgendeinem Spiel derartiges zu singen pflegten, aber ich entsann mich nicht, jemals solches gehört zu haben.
Da drängte ich meine Tränen zurück und stand auf, konnte ich mir doch keine andere Erklärung geben, als dass eine göttliche Stimme mir befehle, die Heilige Schrift zu öffnen……
Daher ging ich eiligst auf den Platz zurück, wo mein Freund Alypius saß. Dort hatte ich die Briefe des Apostels Paulus liegen gelassen, als ich aufgestanden war.
Ich griff nach dem Buch, öffnete es und las still für mich den Absatz, auf den zuerst meine Augen fielen:
„Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag,
ohne maßloses Essen und Trinken,
ohne Streit und Eifersucht.
Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an“
(Röm 13,13 f)
Ich wollte nicht weiterlesen, es war wahrlich nicht nötig; denn bei dem Schluss dieser Worte kam das Licht des Friedens über mein Herz, und die Schatten des Zweifels entflohen.“
Conf. VIII, 12,28 –29
In der Schatztruhe liegt eine Bibel! „Tolle lege“ —„Nimm und lies“
Bald nach seiner Bekehrung gab Augustinus sein Lehramt in Mailand auf.
Er zog sich mit einer kleinen Schar von Verwandten, Freunden und Schülern auf das Landgut Cassiciacum, umweit von Mailand, zurück das ihm sein Freund Verecundus zur Verfügung stellte.
„Der Tag kam, an dem ich nun tatsächlich von meinem Amt als Lehrer der Redekunst erlöst werden sollte, von dem ich mich innerlich bereits gelöst hatte. Es geschah, und du befreitest meine Zunge von dem Dienst, von welchem du mein Herz schon befreit hattest; froh sagte ich dir Lob und Dank und begab mich mit all den Meinen auf das Landgut.“ Conf. IX,4,7
Dort verbrachte er den Herbst und auch den Anfang des Winters in philosophischen Gesprächen, mit Vergil-Lektüre, mit Meditation und Gebet.
„Wann werde ich all des Köstlichen gedenken, was diese Ruhetage in sich schlossen? Eins habe ich nicht vergessen und will es auch nicht verschweigen: das Herbe deiner Geißel und all die Wundersame Eile deines Erbarmens.
Du plagtest mich damals mit einem Zahnschmerz, der sich so gesteigert hatte,
dass ich nicht mehr reden konnte. Da kam mir der Gedanke, alle im Haus Anwesenden zu bitten, für mich zu dir, du Gott alles Heils, zu beten. Ich schrieb es auf ein Wachstäfelchen und gab es ihnen zum Lesen.
Und kaum hatten wir die Knie zum Gebet gebeugt, war der Schmerz verschwunden! Und was für ein Schmerz ! Und wie war er verschwunden? Ein Entsetzen fasste ´mich, ich muss es gestehen, Herr, du mein Gott, denn von Kind auf hatte ich nichts dergleichen erlebt. Auf diese Weise gruben sich die Zeichen deiner Macht in mein tiefstes Herz ein, und freudigem Glaubens pries ich deinen Namen. Aber eben dieser Glaube beruhigte mich nicht hinsichtlich meiner früheren Sünden, waren sie doch noch nicht durch die Taufe vergeben.“ Conf.IX, 4, 12
Im Winter kehrte Augustinus zur Vorbereitung auf die Taufe nach Mailand zurück.
„Als dann die Zeit gekommen war, meinen Namen eintragen zu lassen, begaben wir uns vom Land wieder nach Mailand. Auch Alypius war bereit, mit mir zusammen in dir wiedergeboren zu werden; er hat sich die Demut, die deinen Sakramenten ansteht, angeeignet und seinen Leib so kraftvoll beherrscht, dass er mit ungewohntem Wagemut den eisigen Boden Italiens barfuß beging.
Auch den Knaben Adeodat nahmen wir mit, meinen Sohn nach dem Fleische, die Frucht meiner Sünde. Du hattest ihn aufs beste geschaffen: er war etwa fünfzehnjährig und übertraf mit seiner Begabung manche gewichtigen und gelehrten Männer.“
Conf. IX, 6, 14