Mittag im Weinberg
Die grüne Kehle der Eidechse bebt. Der weiße Mittag löscht die Spur im Kalk. Ein Satyr singt das Lied von der Erde.
Carlheinz Gräter 1980/ 1985
Die Rebe formt sich ihre Landschaft, südlich hell und streng zugleich. Bei den Landschaftsgedichten fällt eine poetische Weinlese dann auch am ergiebigsten aus. Aber fast ausschließlich wird in den Gedichten noch die Rebenszene vor dem Umbruch der Flurbereinigung gezeichnet, jene kleinparzellierte, von Schlehe, Heckenrose und Steinriegeln gebänderte, von Quitte und Nußbaum durchschattete, von Kerbtälern durchschlitzte Hügellandschaft mit ihren Hangmäuerchen, ihrer farbigen Begleitflora.
Notgedrungen gerät das Gedicht der mainfränkischen Reblandschaft zum Suchbild nach der verlorenen Zeit.
Die von technischen Erfordernissen und wirtschaftlichen Produktivitätszielen diktierte neue Reblandschaft mit der strengzeiligen, kilometerweiten Monokultur des Weinstocks, mit ihren Weinbergstraßen und Betongürteln verlangt auch eine neue Landschaftsästhetik. (..)
Das vorstehende Gedicht entstand denn auch nach einem Gang durch altfränkische Weinberge, in einem Seitengrund des Mains, wo Bauern, Wirte, kleine Beamte im Windschatten mächtiger Steinriegel ihren Haustrunk bauen. In den umgelegten, chemisch präparierten Rebplantagen trifft man keine Weinbergschnecke und keine Eidechse mehr an, findet Pan keinen Unterschlupf mehr.
Carlheinz Gräter, Die Kelter harrt des Weines, Würzburg (Stürtz), 1986